Hallo zusammen,
hier kommt eine ältere Geschichte, ich hoffe, sie gefällt euch!
Feedback ist immer erwünscht!
Ein erotischer Roman
August 2016
Kapitel 1
Staubkörner tanzten in den Lichtstreifen des hereinfallenden Tageslichts. Draußen krähte ein Hahn. Weit weg war ein Traktor zu hören. Landleben. Früher hatte ich in der Stadt gelebt, und ich hatte es immer genossen. Aber das hier war besser. Wir hatten es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht und uns dieses Haus leisten können. Und wir lebten dort recht zufrieden.
Dies ist die Geschichte, wie es dazu kam. Wie ich die Frau meines Lebens kennenlernte und von einer recht guten, aber erfolglosen Bassistin, zu einer recht erfolgreichen wurde, deren Gesicht in der Öffentlichkeit aber vollkommen unbekannt ist. Und es ist die Geschichte von einer Violinistin, die ein absolutes Wunderkind war, aber diesen Status für ein Leben mit mir eingetauscht hat. Sie ist immer noch ein Genie, aber auch ihr Gesicht kennt niemand.
Aber in jenem Moment interessierte mich das nicht. In diesem Moment interessierten mich nur die Staubkörner. Wie sie langsam durch die Luft schwebten und von irgendeiner unsichtbaren Kraft hin und her geschoben wurden. In meinem Bett war es warm und kuschelig. Ich fühlte mich ausgeschlafen, und der Tag versprach Gutes. Ich musste nicht arbeiten, es stand nichts an. Was konnte man mehr erwarten?
So lag ich eine Weile da, zufrieden in meiner Welt, bis meine Aufmerksamkeit sich auf die Bewegungen neben mir richtete.
Da lag sie. In einem unruhigen Schlaf. Ihr weißer, runder Po lugte zwischen den Laken hervor. Ihre Hände, immer noch auf den Rücken gefesselt mit ledernen Manschetten, zuckten leicht. Sie träumte. Joelle in einem bewegenden Traum.
Ich war kurz versucht, mit der flachen Hand kräftig auf die beiden gewölbten Bäckchen zu schlagen, aber verwarf den Impuls schnell wieder. Das wäre zu gemein gewesen.
Ich könnte die Decke ein wenig über ihr entblößtes Hinterteil ziehen, aber mir gefiel der Anblick, und ich wollte mich nicht bewegen. Ich hatte es gerade so gemütlich.
Die Kettenglieder zwischen den Manschetten hatten einen kleinen Abdruck auf ihrem Hintern hinterlassen. Es sah schön aus, passend, wie ihre Hände im Schlaf zuckten, sich leicht gegen die Fesselung wehrten, als könnte sie sich befreien, wenn sie nur ein wenig zöge.
Seit dem vergangenen Abend war sie gefesselt, aber immer noch hatte sie sich nicht daran gewöhnt. Sie hatte sich mit ihrer Hilflosigkeit noch nicht abgefunden. Das war irgendwie süß. Wie sie sich wälzte, wie etwas in ihr arbeitete. Ein Murmeln entfuhr ihr. Ich drehte meinen Kopf zu ihr. Zu gerne hätte ich gewusst, was sie in ihrem Schlaf sagte. Aber ich konnte sie leider nicht verstehen. Kein Wort. Es war ein langsames Brabbeln, ein Murmeln.
Ihr Kopf war tief in das Kissen gepresst, und ihre blassblonden Haare schlängelten sich wirr über das Kissen.
Ich spannte meine Muskeln an, ohne mich groß zu bewegen, schüttelte den Schlaf ab. Ich atmete tief durch. Mein Brustkorb hob sich, hob die Laken, die im Sonnenlicht spannende Falten warfen.
Ich wurde wach und beobachtete Joelle weiter.
Süß war sie.
Meine süße kleine Sklavin.
Ein Lächeln zog über mein Gesicht, während sie mit einem Ruck an ihren Fesseln zog und sich aufbäumte. Ich hielt den Atem an, erwartete, dass sie aufwachte, aber ihre Muskeln entspannten sich, und sie fiel zurück in ihren Traum.
Schlaf weiter, meine süße Prinzessin, dachte ich. Schlaf weiter!
Der Tag war noch jung, und ich konnte mir vorstellen, dass sie lange gebraucht hatte, bis sie eingeschlafen war. Die Fesseln, die ihre Hände hinter den Rücken zwangen, machten es ihr sicher nicht einfach. Einmal war ich in der vergangenen Nacht kurz aufgewacht, da hatte sie sich in ihren Fesseln gewunden, hatte versucht, eine Position zu finden, die ihr den Schlaf ermöglichte. Ich war wieder eingeschlafen, bevor sie ihren gefunden hatte.
Wovon träumte sie? Aber von wem sollte sie schon träumen? Von derjenigen doch wohl, die sie in Fesseln geschlagen hatte, die mit ihr anstellen konnte, was sie wollte. Ich war es, die sie von einem ruhigen Schlaf abhielt, die sie in Ketten geschlagen hatte. Von wem sollte sie anders träumen als von mir?
Damit war jeder Gedanke, sie zu wecken, vollkommen undenkbar.
Träum, träum von mir, von deiner Herrin!
Ich lag also neben ihr und ließ sie träumen, bis sie langsam begann sich zu regen und aufzuwachen.
Ihr Atem veränderte sich. Sie war wach. Ich drehte mich zu ihr, betrachtete ihre ruhigen Gesichtszüge, das Licht, das weich auf ihre Wangen fiel. Joelle hatte die Augen noch geschlossen, wollte langsam und sanft in den Tag gleiten.
Vorsichtig streichelte ich über ihre Haare, legte meinen Kopf neben ihren. Mit meinen Fingern zog ich eine ihrer Haarsträhnen zu mir, kitzelte mit den Spitzen meine Nase und sog ihren warmen Duft ein.
Dann ließ ich meine Hand unter die Decke schlüpfen und berührte sie an der Schulter. Wie eine Schlange kroch meine Hand weiter, erfreute sich an der Wärme ihres Körpers.
Sie bewegte sich nicht, ließ meine Hand machen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich langsam und rhythmisch. Ich versuchte, meine Bewegungen ihrem Atem anzupassen und bewegte meine Hand immer, wenn sie ausatmete und sich ihr Brustkorb senkte.
Schließlich schlängelte sich meine Hand über ihre weiche Brust. Ich fühlte ihre weiche Brustwarze, rieb sie zwischen meinen Fingern und spürte, wie sie unter meinem Griff hart wurde.
Joelle seufzte, und ihr Brustkorb hob sich ein wenig mehr.
Ich spielte eine Weile mit ihrem Nippel, und sie ließ es geschehen. Auf ihrem Gesicht machte sich ein wohliges Lächeln breit.
Ich streichelte über ihre Brust, fuhr ihre Kurven nach, fand ihre Brustwarze wieder, strich über sie und kniff einmal mit meinen Fingernägeln hinein.
Augenblicklich spannten sich ihre Muskeln an, ihr weicher Körper verhärtete sich für einen Wimpernschlag. Aber ich wollte sie nicht quälen. Sie sollte nur wissen, wer das Sagen hatte.
Also streichelte ich sie bald wieder, und sie entspannte sich augenblicklich, weil sie mir vertraute.
Meine Hand fand ihren Weg hinunter zu ihrem Bauchnabel, umkreiste ihn und wanderte dann tiefer. Doch wenige Zentimeter vor ihrem Ziel zwischen ihren Schenkeln hielt sie inne. Ich ließ meine Finger einfach ruhen kurz vor ihrem Venushügel.
Nach wenigen Sekunden wurde sie unruhig, hob ihr Becken, wollte mir signalisieren, dass ich nicht aufhören sollte. Aber ich ließ meine Hand einfach schlaff an ihrer Position.
Joelle wurde ungeduldig und seufzte. Sie zog an ihren Fesseln.
Ich genoss meine Überlegenheit und meine Macht.
„Möchtest du, dass ich weitermache?”, hauchte ich ihr ins Ohr.
Sie nickte energisch.
„Dann sag mir: Wer ist deine Herrin?”
„Du bist es!”, kam ihre Antwort.
„Sag es noch einmal!”
„Du bist meine Herrin!”
„Da hast du verdammt nochmal recht!”, flüsterte ich ihr ins Ohr. „Aber was tust du, wenn ich weitermache?”
„Alles!”
„Alles? Du solltest aufpassen, was du alles so versprichst.”
„Ich tue alles für dich, wenn deine Hand weitermacht!”
„Ich werde darauf zurückkommen!” Es sollte wie eine kleine Drohung klingen.
Und dann erwachte meine Hand wieder zum Leben und setzte ihren Weg zwischen ihre Schenkel fort.
Kapitel 2
Prinzessin auf der Erbse trifft die Beschreibung für Joelle am besten.
Kennengelernt haben wir uns in einem Musikgeschäft. Wir waren beide Musikerinnen, aber sie erfolgreicher, und ich hatte keinen reichen Daddy, daher jobbte ich in einem kleinen Musikgeschäft als Aushilfe. Der Job war angenehm. Ich verdiente nicht so viel wie beim Kellern, aber ich musste mich auch nicht mit Besoffenen rumschlagen, sondern war unter Instrumenten in einem Metier, das ich wirklich liebe. Die meisten Kunden waren nett und freundlich, und man konnte auch mal ein Schwätzchen halten und fachsimpeln.
Ich war siebenundzwanzig, hatte nach dem Abi Wirtschaft studiert, das schnell sein lassen, dann eine Ausbildung angefangen, und auch die schnell abgebrochen, weil ich es nicht ertragen konnte, den ganzen Tag in einem Büro zu sitzen. Die ganze Zeit über war ich in Bands, und irgendwann lief es mit der Musik so gut, dass ich mir die Ausbildung sparen konnte. Also kündigte ich. Dann ging es mit der Musik plötzlich nicht mehr so gut, und ich musste mich anders durchschlagen. Das tat ich also. Ich schlug mich durch. Mal besser, mal weniger gut, aber ich kam zurecht. Es war ein unstetes Leben, das nie so richtig geradlinig verlief, aber ich mochte das. Man musste flexibel sein, irgendwie auf sich aufpassen, irgendwie erwachsen sein, aber dann auch eben nicht. Ich suchte mir die Jobs, wie ich sie brauchte und wie sie kamen. In zehn Jahren könnte ich ein großer Star sein oder immer noch am Existenzminimum rumkrebsen und mein Instrument rumschleppen, Verstärker aus Transportern hieven und Kabel einstöpseln, um meine Musik zu spielen. Das mit dem Star war ziemlich unwahrscheinlich. Bassisten werden keine Stars, überhaupt gibt es nur wenige, die von der Musik leben können. Es gibt eine Menge Sternchen, aber das ist etwas anderes. Ich hatte damit kein Problem. Ich liebe die Musik, und das reichte mir. Daher war ich auch glücklich, den Job in einem Musikgeschäft zu bekommen.
Musikinstrumente sind etwas Faszinierendes. Eigentlich sind sie Gegenstände aus Kunststoff, Holz und Metall, aber ich stelle mir vor, dass sie ein eigenes Leben haben, so etwas wie eine Seele. Ich stelle mir vor, dass ein Instrumentenbauer sich wochenlang damit beschäftigt hat und seine Seele in das Instrument gegeben hat.
Die Realität sieht natürlich anders aus. Die meisten Instrumente kommen aus China und sind Massenware. Da hat niemand stundenlang gehobelt, gesägt oder gefeilt. Die kommen alle vom Fließband. Da steckt in der Herstellung keine Liebe drin. Das heißt nicht, dass billige Instrumente schlecht sind, sie sind häufig sogar erstaunlich gut, wenn man den Preis bedenkt, aber für Romantik bleibt wenig Raum.
Nur die richtig teuren Instrumente kommen noch irgendwie aus Handarbeit, und nur bei den wirklich teuren hat vielleicht noch ein Mensch eine Unterschrift geleistet, aber das ist dann auch nur der Qualitätstester bei der Endkontrolle.
Warum erzähle ich das? Weil es mit unserem Kennenlernen zu tun hat.
Ich war gerade in einem Verkaufsgespräch. Ein Vater wollte für seine Tochter eine Gitarre kaufen. Aber da fing es schon an, denn während der Vater aus diversen und allesamt nachvollziehbaren Gründen seine Tochter mit Pferdeschwanz und Strickpulli auf einer akustischen Gitarre am Weihnachtsbaum oder Lagerfeuer sehen wollte, sah sie sich aus vollkommen nachvollziehbaren Gründen mit einer E-Gitarre breitbeinig headbangend auf einer Bühne, hinter ihr ein Verstärkerturm und vor ihr hunderttausend headbangende Fans. Ich befand mich also in einem Familienstreit und nicht nur als unbeteiligte Zuschauerin. Vater und Tochter hatten mich beide als ihre Verbündete auserkoren, die für ihre Sache streiten sollte.
Allerdings war mir gar nicht danach, für irgendeine Sache zu streiten. Ich konnte den Vater verstehen, der seine kleine, wohlerzogene Tochter mit Pferdeschwänzchen bewundern wollte, gleichzeitig aber auch seine Tochter, die von hunderttausend Fans bewundert werden wollte. Als Symbol für diese Visionen standen eben Wanderklampfe und Stratocaster. Beides ging nun mal nicht.
Während ich also mit Händen und Füßen versuchte, mich aus dem Pubertätskampf herauszuhalten, betrat Joelle das Musikgeschäft. Am Eingang blieb sie einen Augenblick stehen, orientierte sich kurz und schritt dann zielstrebig an uns vorbei zu den Westerngitarren.
Ich dachte mir nicht viel, als ich sie das erste Mal sah. Mir fiel ihr Pferdeschwanz auf, der akkurat saß. Mir fiel auch das Selbstbewusstsein ihrer Bewegungen auf. Aber ich hatte keine Zeit, mich auf sie zu konzentrieren, denn die Tochter wollte von mir die Bestätigung, dass E-Gitarren nicht zwangsläufig lauter waren als akustische Gitarren, und der Vater wollte kontern mit dem Hinweis, dass eine E-Gitarre immer E braucht (also Strom). Ich gab beiden Recht, obwohl es auch batteriebetriebene Gitarrenverstärker gibt, die ziemlichen Krach machen können. Aber das sagte ich nicht, weil ich die Sache nicht noch verkomplizieren wollte.
Ein Auge warf ich als professionelle Verkäuferin derweil auf Joelle, die sich recht zielstrebig die teuerste Westerngitarre gegriffen hatte, die wir hatten. Aber meinen ersten Gedanke, dass sie eine Kennerin sein musste, ließ ich sofort fallen, denn sie hielt sie wie eine absolute Anfängerin.
Wie gesagt, ich habe diesen Glauben, dass Instrumente eine Seele haben, zumindest die teuren, die mit Liebe hergestellt werden, und bei einem Preis von zweieinhalbtausend Euro kann man auch schon ein wenig Liebe und Respekt verlangen von dem, der sie kauft. Also manövrierte ich das Familiendrama an einen Übungsverstärker und drückte ihnen zwei Gitarren in die Hand, um dann zu der Gibson zu eilen und dem jungen Mädchen, das sie hielt.
„Die ist verstimmt!”, meinte sie statt einer Begrüßung mit einem leicht vorwurfsvollen Ton, als ich zu ihr trat. Sie drehte am Stimmflügel der E-Saite und zupfte immer wieder daran.
„Ein schönen guten Tag. Kann ich Ihnen helfen?”, fragte ich betont freundlich und wunderte mich, dass sie glaubte, beurteilen zu können, wie die Gitarre gestimmt werden musste, wo sie diese doch nicht einmal halten konnte.
„Ich will Gitarre spielen lernen”, sagte sie, ohne mich anzusehen. Stattdessen begab sie sich an die zweite Saite und stimmte diese nun.
„Da würde ich eine Musikschule empfehlen! Wir verkaufen hier Instrumente.”
Sie sah mich nun zum ersten Mal an, als wollte sie herausfinden, wie ich das gemeint haben könnte. Es war so gemeint, wie es herausgekommen war. Die Butter ließ ich mir von so einem Früchtchen nicht vom Brot nehmen. Etwas schnippisch antwortete sie:
„Das ist mir schon klar. Aber ohne Gitarre kann ich es ja schlecht lernen oder wie siehst du das?”
Ihr Tonfall gefiel mir gar nicht und das Duzen auch nicht. Statt sofort zu antworten, nahm ich mir nun eine Sekunde Zeit, mir ein Bild zu machen. Sie hatte einen bleichen Teint, strohblonde Haare. Ein paar Sommersprossen, graublaue Augen und eine spitze Nase, die etwas nach oben ragte und ihr damit einen im wahrsten Sinne hochnäsigen Ausdruck gab.
Stoffhose, ein paar schwarze Pumps mit flachem Absatz, die etwas zu förmlich aussahen, eine cremefarbene Bluse mit altmodischen Rüschen. Sie vermittelte den Eindruck, dass sie sich Gedanken gemacht hatte über ihre Garderobe.
Das unterschied sie von mir. Ich zog meist an, was gerade so auf dem Boden lag.
Es war die etwas nach oben gebogene Nase, die sie am besten charakterisierte als Prinzessin (Die Erbse kam später).
Ich konnte nicht sagen, dass sie mir besonders sympathisch war, aber ich nahm sie auch nicht ernst genug, um sauer zu sein. Sie war halt eine dieser Kundinnen, die eben nicht so nett, nicht so angenehm waren. Aber man musste sich deswegen ja nicht gleich den Tag vermiesen lassen.
Sie war mittlerweile bei der vierten Saite angelangt. Als sie langsam die vier gestimmten Saiten anzupfte, stutzte ich. Sie klangen sauber aufeinander abgestimmt. E-A-D-G. Das waren auch meine Saiten. Eine Oktave tiefer zwar, aber immerhin. E-A-D-G, die Saiten des Basses und die ersten vier der Gitarre.
„Immerhin können Sie schon mal eine Gitarre stimmen!”
Es war als Kompliment gemeint, aber sie sah mich nur irritiert an.
„Was ist jetzt? Verkaufst du mir das Ding?”
„Das Ding, das Sie da in der Hand haben, ist eine Gibson und kostet fast zweieinhalbtausend Euro.”
„Okay…”
Sie war nicht beeindruckt.
„Das ist nicht unbedingt ein Anfängerinstrument.”
„Ich habe noch nie verstanden, warum Anfänger auf billigen Instrumenten lernen sollten. Gerade ein Anfänger braucht alle Hilfe, die er bekommen kann, und eine gutes Instrument ist eine immense Hilfe!” Sie sah mich kühl an, und ihr Näschen reckte sich noch etwas mehr in die hochnäsige Höhe. „Das müsste jemand, der in einem Musikgeschäft arbeitet, eigentlich auch wissen.”
Sie stellte meine Geduld zugegebenermaßen auf eine harte Probe. Als ich ihr gerade eine passende Antwort geben wollte, grollte uns ein schiefer und ohrenbetäubender Gitarrenriff entgegen. Wir drehten uns beide um. Der Vater, der sich, aus welchem Grund auch immer, die eben noch so verhasste E-Gitarre umgeschnallt hatte, drehte hastig den Lautstärkeregler am Verstärker runter, wand sich zu mir um und rief: „Tschuldigung!”
Scheinbar war die Diskussion zwischen Vater und Tochter vorangeschritten, denn die Tochter beobachtete nun, wie der Vater sich an der elektrischen Gitarre versuchte. Diese kleine Ablenkung jedenfalls ließ meinen Zorn verfliegen, und ich ignorierte die Provokation ruhig und erwiderte:
„Viele Anfänger wissen nicht, was sie wollen. Und es wäre doch zu schade, wenn dieses tolle Instrument als Staubfänger in einer Ecke enden würde.”
„Erstens wird das nicht passieren, und selbst wenn es zweitens als Staubfänger enden sollte, dann hätte ich lieber die hier als irgendeine unförmige Holzkiste. Also, wie sieht es jetzt aus? Ich habe das Gefühl, dass du mir die Gitarre nicht verkaufen möchtest.”
Die Frage war gerechtfertigt. Ich hatte in der Tat etwas dagegen. Ich konnte mir zwar ihre Beleidigungen anhören, aber irgendwie sträubte ich mich, diese schöne Gitarre in die Hände einer verzogenen Göre zu verkaufen.
Das war, als müsste eine Adoptionsvermittlerin ein Baby in die Hände von alkoholkranken Junkie-Verbrechern geben. So etwas tut man einfach nicht. Und das sagte ich ihr dann auch ziemlich deutlich:
„Da haben Sie ganz Recht. Mir stellen sich die Nackenhaare hoch, wenn ich daran denke, dass ich Ihnen dieses tolle Instrument verkaufen soll. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass Sie dieses Teil verdienen. Auch wenn Sie es sich locker leisten können.”
Sie stutzte. Das hatte sie nicht erwartet. Es schien ihr nicht oft zu passieren, dass Geld sie nicht weiterbrachte. Sie atmete tief ein, schluckte die erste Reaktion, vermutlich eine pampige Antwort, herunter, sah betreten auf den Boden, als hätte ich sie bei etwas ertappt, und besann sich.
Dies erstaunte mich nun wieder. Hatte ich einen Nerv getroffen? Ich hatte angenommen, dass das Geld ihres Vatis sie gestählt hätte gegenüber der Kritik des Pöbels. Scheinbar war das nicht so.
Mit merklich kleinerer Stimme und gesenkter Nase sagte sie schließlich:
„Ich verstehe, was du meinst, aber du musst dir keine Sorge machen. Ich bin eine ausgebildete Solo-Violinistin. Ich habe CDs aufgenommen, ich spiele in internationalen Orchestern, und wenn es von mir Aktien zu kaufen gäbe, wäre ich der Geheimtipp. Ich spiele übrigens eine Violine, die ungefähr das Zehnfache von der Gibson hier kostet. Ich weiß also sehr gut, dass man vor einem guten Instrument Respekt haben sollte. Aus diesem Grund möchte ich auch ein gutes. Einer meiner Lehrer sagt, es würde mir guttun, ein neues Instrument zu erlernen, um Saiteninstrumente besser zu verstehen. Also hat er mir die Gitarre empfohlen. Hier bin ich, und ich bin einfach nicht der Typ für ein Anfängerinstrument. Und falls es dich beruhigt, ich habe zwar eine schwarze Visa-Karte, aber ich bin nicht irgendeine neureiche Göre.”
Ich muss gestehen, ich hatte keine Ahnung, was eine schwarze Visa-Karte ist, aber scheinbar ist Schwarz das neue Gold und damit was Besonderes für besondere Menschen. Damit konnte sie bei mir keine Stiche landen, und ich verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust, um ihr das auch so zu zeigen. Sie hatte mich noch nicht überzeugt, auch wenn ihre Antwort mir gefiel.
Das mit der neureichen Göre sollte übrigens gelogen sein. Sie hatte Geld, ob es neureiches Geld oder altes war, spielte keine Rolle. Es war Geld, das sie sich nicht verdient hatte, aber mit vollen Händen ausgab.
Nach ihrer kleinen Rede senkte sich eine kurze Stille über unser Gespräch. Nun, ganz still war es nicht, denn im Hintergrund schrammelten Vater und Tochter Dissonanzen auf ihren Gitarren.
„Also meinst du, dass ich die Gibson verdient habe?”, fügte sie schließlich hinzu, und mit einem Mal wandelte sie sich. Sie lächelte kokett, legte den Kopf zur Seite, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte unschuldig.
Flirtete sie mit mir?
Sie war nicht unattraktiv, sie hatte etwas, das musste ich ihr lassen.
Eine Menge Unarten hatte sie. Sie glaubte, sie wäre was Besseres. Sie meinte, die Welt würde sich um sie drehen. Aber wie sie sich hielt, wie sie sich verhielt, wie sie in ihren Bewegungen eine bestimmte Disziplin zeigte, den Kopf aufrecht hielt, verriet sie, dass mehr hinter ihr steckte als ein verwöhntes Blag mit zu reichen Eltern. Vielleicht war sie wirklich ein Geheimtipp. Nicht nur bezogen auf ihr musikalisches Talent, sondern vielleicht auch bezogen auf anderes.
Aber ich stand nicht so auf diese manipulative Art. So einfach war ich nicht um den Finger zu wickeln, daher murmelte ich eher für meine als für ihre Ohren bestimmt:
„Du hast es verdient, dass ich dich übers Knie lege und dir den Hintern versohle!”
Als ich Joelles erstaunte Reaktion sah, musste ich erkennen, dass ich wohl etwas zu laut gewesen war.
„Was war das?” fragte sie, klang dabei aber nicht erbost, sondern eher überrascht.
„Ach nichts”, wiegelte ich ab. „Gerne verkaufe ich Ihnen die Gitarre.”, und bevor sich noch eine unangenehme Stille einstellen konnte, fügte ich hinzu: „Schön, dass wir uns verstehen. War wohl nur ein Missverständnis.”
Ich lächelte sie unverbindlich an, startete mein Verkaufsgespräch, wollte ihr die Unterschiede zwischen Western- und Konzertgitarren erklären, aber sie war bestens informiert. So schnell hatte ich noch nie ein so teures Instrument verkauft.
Ich nahm ihr die Gibson aus der Hand und ging zur Kasse.
Joelle folgte mir, und ich gab mich professionell kühl, kassierte mit ihrer schwarzen Visa-Karte, reichte ihr schließlich den Gigbag mit dem teuren Instrument und lächelte:
„Viel Spaß mit der Gibson. Und wenn wir noch irgendwas für Sie tun können, dann kommen Sie jederzeit vorbei.” Es war eine Floskel, und als solche war sie auch gemeint.
Sie nickte, nahm die Tasche mit der Gitarre in die Hand, bedankte sich und stand unschlüssig da, als wolle sie noch nicht gehen.
„Kann ich noch was für Sie tun? Vielleicht noch eine neue Violine?”
„Nein Danke, ich bin mit meiner sehr zufrieden. Ich denke außerdem nicht, dass ihr etwas in meiner Preisklasse da hättet.”
Da war wieder ihre Arroganz. Eine ganze Weile hatte sie die versteckt gehalten. Aber so richtig gelang es ihr wohl nicht, sie ganz zu unterdrücken.
„Sicherlich nicht”, antwortete ich verständnisvoll. „Wir führen mehr Instrumente für Normalsterbliche.”
Ich lächelte sie unverbindlich kühl an, und sie merkte, wie ihre Worte bei mir angekommen waren und stammelte einlenkend:
„Ich meine … nur so.”
„Weil Sie ja Solo-Violinistin sind und so”, ergänzte ich. „Ich habe schon verstanden.”
„Nein, so war das nicht gemeint!”
„Oh!”
Sie war nun verunsichert, aber hatte noch etwas auf dem Herzen.
„Wie auch immer. Ich habe mich gefragt, ob du… ob Sie… mir vielleicht Unterricht geben wollen. Ich meine, Sie haben mich mit der Gitarre hier gut beraten, und ich brauche jemanden, der mir das Spielen beibringt. Jemand, der konsequent ist. Denn ich… bin manchmal ein wenig schwierig.”
Das hatte ich nun auch schon gemerkt. Aber der Gedanke erschien mir vollkommen fremd.
„Tut mir leid. Ich kann zwar ein wenig Gitarre spielen, aber mein Instrument ist der Bass.”
„Oh!”
Ich muss zugeben, es bereitete mir Freude, sie auf Granit beißen zu lassen.
„Vielleicht könnten Sie mir dann auch noch ein paar Bässe zeigen?”
Sie lächelte wieder verschmitzt und flirtete. Ich muss gestehen, dass mir ihre Antwort gefiel. Aber es kam nicht in Frage.
„Auch wenn bestimmt noch viel Geld auf Ihrer schwarzen Kreditkarte ist, hatten Sie versprochen, die Gibson zu ehren. Sie sollten ihr nicht so schnell untreu werden!”
„Natürlich nicht. Das war auch nur ein Scherz.”
„Ich habe es auch so verstanden.”
Es gefiel mir, ihr das Gespräch so unangenehm wie möglich zu machen. Und so sagte ich nichts mehr, sondern schaute sie nur erwartungsvoll an, bis sie schließlich nickte, sich bedankte und den Laden verließ.
Daraufhin widmete ich mich Vater und Tochter, die zu dem Ergebnis gekommen waren, dass sie nunmehr beide Gitarre spielen lernen wollten und für den Anfang eine akustische, eine elektrische Gitarre, Verstärker und Zubehör brauchten. Der Umsatz war bei weitem nicht so hoch wie bei der Gibson, aber immerhin. Das Musikgeschäft lief nicht mehr ganz so gut, seit man im Internet Instrumente billig kaufen konnte. Trotzdem machte ich ein gutes Geschäft wie lange nicht. Wenn ich nur Prozente bekäme statt meines Mindestlohns!
Kapitel 3
„Hi!”
Ich war in Gedanken versunken gewesen und erschrak, als Joelle sich mir aus dem Nichts in den Weg stellte. Ich hatte gerade meine Schicht beendet und war in Gedanken bei der anstehenden Probe. Und so rannte ich Joelle mit dem großen Koffer, in dem mein Bass steckte, fast um.
„Sorry!”, meinte sie. „Alles gut?”
„Äh, ja?” Ich war etwas überrascht über die Selbstverständlichkeit, mit der sie da vor mir stand. Zugegebenermaßen hatte ich ein oder zweimal an sie gedacht nach unserer ersten Begegnung, aber mehr, weil dieses Treffen eben so seltsam gewesen war.
„Das ist ja ein Zufall”, meinte ich trocken. „Oder ist das gar kein Zufall?”
„Nein, das ist kein Zufall. Ich habe auf dich gewartet.”
“Woher wusstest du, dass ich heute arbeite?”
„Wusste ich nicht. Ich habe es gehofft.”
„Gehofft? Klingt für mich so ein bisschen, als würdest du mich stalken.”
„Oh.” Sie stockte, fing sich dann aber schnell: „Würdest du denn gerne von mir gestalkt werden? … Ich meine, wenn es wirklich so wäre.”
„Ich glaube, niemand wird gerne gestalkt. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass die Definition von Stalken ist, dass man das nicht gerne hat.”
Sie überlegte einen Moment.
„Naja, aber es zeigt auch, dass man irgendwie… gewollt ist?”, stammelte sie sichtlich unsicher. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich das alles anders vorgestellt hatte. Einfacher definitiv.
„Mit anderen Worten, du willst mich?”, fragte ich kühl.
„Was soll ich sagen? Nein?”
„Nein? Du willst mich also nicht. Da das ist ja mal nett!”
„Was kann ich dann für dich tun?”, fragte ich ungeduldig. Ich hatte es eilig, durfte die Bahn nicht verpassen.
„Ich habe eine Frage wegen der Gitarre.”
„Okay. Worum geht’s?”
„Ich will neue Saiten aufziehen. Aber ich weiß nicht wie.”
„Neue Saiten? Die sind ganz neu. Warum willst du jetzt schon die Saiten wechseln? Die sind total in Ordnung.”
„Es mag irgendwie komisch klingen, aber ich spiele nicht gerne auf Instrumenten, die jemand anders schon verwendet hat. Ich bin eben so. Ich möchte neue, frische. Findest du das komisch?”
Sie zuckte mit den Schultern und lächelte. Wieder dieser Versuch, charmant zu sein.
„Ist mit eigentlich egal. Wenn du die wechseln willst, dann mach es!”
„Aber wie?”
„Youtube hilft dir sicher.”
„Ich meine ja nur, weil du sagtest, dass ich mich melden soll, wenn ich ein Problem hätte. So von wegen Kundendienst und Service und so.”
Ich erinnerte mich vage, das gesagt zu haben. Es war eine Floskel gewesen.
Ich seufzte.
„Also gut. Ich könnte dir sagen, dass du in den Laden gehen sollst, dass man dir da helfen wird. Dass man dich beraten wird, dass man dir Saiten verkauft und die dir sogar aufzieht. Aber ich nehme an, dass es dir nicht darum geht. Du willst mich sehen. Richtig?”
Sie sagte nichts. Erst als ich auf die Uhr sah, kam sie mit der Sprache heraus.
„Wie soll ich sagen. So ganz falsch ist das nicht.”
Ich dachte nicht lange nach.
„Hab jetzt keine Zeit. Muss zur Probe. Morgen um vier im Cafe Chaos. Kennst du das?”
Es war eine Bauchentscheidung, ihr den Termin anzubieten.
„Um vier?”
Der Termin passte ihr offensichtlich nicht. Ich ignorierte das.
„Wenn du mich wirklich stalkst, sollte es doch kein Problem sein, dir den Termin freizuschaufeln.” Und dann setzte ich noch böswillig hinzu: „Du scheinst ja nicht sooo viel zu tun zu haben, wenn du mir tagelang hinterherspionierst.”
Es war gemein, das wusste ich auch, aber irgendwie konnte ich es mir nicht verkneifen, die Solo-Violinistin etwas aufzuziehen mit ihrer Wichtigkeit.
Ihr Blick war finster, sogar giftig. Aber sie verkniff sich einen Kommentar, und ich lenkte etwas ein:
„Wenn du so sehr daran interessiert bist, wie man Saiten wechselt, dann wirst du es irgendwie einrichten können. Sorry, aber ich muss jetzt weg. Bis dann!”
Damit ließ ich sie stehen, und ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mich wirklich beeilen musste.
Die Bahn bekam ich noch so gerade, und das auch nur, weil sie zwei Minuten Verspätung hatte.
Eigentlich wollte ich mir auf der Fahrt das neue Arrangement ansehen, das man mir geschickt hatte, aber meine Gedanken gingen immer wieder zurück zu Joelle und ihrem ungelenken Versuch, ein Date mit mir zu kriegen.
Nun, sie hatte gewonnen. Das war ihr gelungen, das musste man ihr lassen. Auch wenn sie es nicht sonderlich elegant angestellt hatte.
Sie wollte offensichtlich was von mir. Ich war schon erstaunt, was so ein kleines Prinzesschen an mir finden konnte. Es schmeichelte mir ein wenig, denn wir entstammten doch beide ganz unterschiedlichen Welten.
Ich stellte mir vor, wie sie ganz edel in weiß gekleidet mit ihren auch in weiß gekleideten Eltern beim Tee saß, den kleinen Finger abspreizte und sich über den Gärtner oder den Jaguar in der Garage unterhielten, während ihr weiß gekleideter Freund, der Jura oder BWL studierte, neben ihr saß und ihr Händchen hielt.
Ich stellte mir vor, wie sie ihren Freund nur als Vorwand missbrauchte, um eine Fassade aufrecht zu erhalten, während sie sich vorstellte, sich in den Armen einer anderen Frau zu verlieren und die Lippen einer Frau zu küssen. Aber ehrlich gesagt war das vielleicht ein Klischee. Ich wusste nicht genug über sie.
Ich war nicht von Komplexen überwältigt, aber empfand mich auch nicht als eine Offenbarung für die Menschheit. Müsste man wegen eines heranrauschenden Meteors die Tausend tollsten Menschen suchen, die in einem Raumschiff auf einem anderen Planeten den Grundstein für die Zukunft der Menschheit legen sollten, ich käme nicht in die engere Auswahl. Nicht mal, wenn es richtig viele Raumschiffe gäbe. Das sage ich ganz offen und ohne, dass man sich um mein geringes Selbstwertgefühl Sorgen machen muss.
Ich weiß, was ich an mir habe, und was ich kann. Joelle mochte eine Zukunft als großartige Violinistin vor sich haben. Ich schlug mich als Bassistin nicht schlecht. Ich war auch auf CDs zu hören. Auf CDs, die sich vermutlich sehr viel besser verkauften als die von Joelle. Allerdings stand mein Name nicht auf dem Cover. Man musste sogar ziemlich gute Augen haben, um ihn auf dem Sleeve in Schriftgröße 0,5 zu entziffern. Ich hatte damit kein Problem, zumal ohnehin niemand mehr CDs kaufte.
Mir war es sogar ganz recht, dass mein Name nicht so ganz groß auftauchte, denn als Studiomusikerin konnte man sich seine Jobs nicht immer aussuchen. Gerne hätte ich nichts anderes als Funk gespielt. Aber Funk war nicht so in wie Schlager, und so war ich mehr an Musik beteiligt, die eher beschämend war.
Ich hatte die Basslinien für einige schlimme Songs eingespielt. Letztens erst für ein plumpes Schlagersternchen, das gerade auf dem Weg in die Top Ten war.
Wer kann schon behaupten, dass er den Bass auf einem Song spielt, der in den Top Ten ist? Nicht so viele. Aber nicht so viele Leute, die ich kenne, wollen mit der Art Musik in Verbindung gebracht werden, die man zum Geldverdienen spielt. Daher hielt ich all meine Studio-Gigs in einer Datei fest, die aber nie, nie, nie jemand zu sehen bekam. Man spricht über schreckliche Musik, die man für Geld aufnimmt, genauso gerne wie über Hämorrhoiden.
Das mit der Studiomusik gehörte zu meinen vielen Wegen, meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dazu gehörte auch das Jobben im Musikgeschäft und wenn es eng wurde, kellnerte ich auch.
Ich war auch in einer Band. Wir machten gute Musik. Crossover, Fusion, Funk. Wir konnten alle was, waren gut, arbeiteten hart und machten teilweise richtig geile Musik. Aber nur wenige wollten das hören.
Ich lebte also das typische Künstlerleben. Nicht mehr voller Hoffnung, irgendwann mal groß rauszukommen, aber ich kam zurecht, wurschtelte mich so durch. Es war sicherlich nichts, was man mit 60 noch machen wollte, aber für den Moment war ich zufrieden.
Ich war also Musikerin wie Joelle. Aber das erklärte noch nicht, was sie an mir fand. Ich empfand mich nicht als besonders attraktiv, auf einer Skala von 1 bis 10 so circa eine 6,5 (leicht über dem Durchschnitt, aber nicht so, dass sich irgendwer mein Gesicht merkte). Ich war weitestgehend zufrieden mit meinem Körper. Hier und da könnte er etwas mehr oder weniger haben, manche Teile könnten eine leicht andere Form haben, aber das war mir nicht wichtig. Mein Körper war okay, wie er war.
Joelles Körper war auch okay, wie er war, soweit ich das erkennen konnte, vielleicht unterschied uns in der Beziehung nicht so viel.
Ich muss zugeben, dass ich geschmeichelt war, dass sie so hinter mir her war. Immerhin hatte ich nichts anderes getan, als sie relativ pampig davon abzuhalten, eine Gitarre von mir zu kaufen. Da konnte ich nicht erwarten, dass sie mit besonderer Zuneigung auf mich reagierte. Es war vermutlich genau das, was ich interessant fand. Dass ich sie vor den Kopf gestoßen hatte und sie sich nicht abwandte, sondern dran blieb.
Ich fand es doch irgendwie schmeichelhaft, gestalkt zu werden.
In ihren Augen musste ich ein großartiger Mensch sein, dass sie sich das alles gefallen ließ.
Für meinen Teil konnte ich noch nicht sagen, was ich von ihr hielt. Ich stand nicht auf diese arrogante Art, ihr Gehabe war nicht mein Ding, aber mir schien, dass das vielleicht auf Unsicherheit beruhte, dass sie noch nicht so richtig wusste, wo es hingehen sollte. Immerhin war sie ein paar Jahre jünger als ich und damit noch nicht so sicher, wo es hingehen sollte. Ich dagegen war ein Schlachtross. Zumindest fühlte ich mich manchmal so.
Ich war mir also nicht so ganz sicher, was ich von ihr halten sollte, aber ich war offen für alles, was so kommen könnte.
Kapitel 4
„Du, sorry!”, stöhnte sie, als sie keuchend in das Cafe stürmte. „Aber der Verkehr ist mörderisch!”
„Mörderisch. Hui! Das ist ja viel. Du meinst, der Islamische Staat ist hier eingefallen?”
Sie sah mich an und zickte:
„Das ist metaphorisch zu verstehen!”
„Metaphorisch! Aha.”
Ich sah auf die Uhr. Sie war eine halbe Stunde zu spät. Ich war nicht unbedingt sauer, da ich mir Arbeit mitgebracht hatte, aber da sie so scharf auf dieses Treffen gewesen war, hätte ich gedacht, dass sie ein wenig mehr Interesse daran gehabt hätte, pünktlich zu erscheinen.
Sie legte ihre Tasche ab, setzte sich mir gegenüber, winkte der Bedienung, und als diese nicht sofort schaute, rief sie durch den halb gefüllten Raum:
„Einen Cappuccino. Aber bitte mit richtigem Espresso, nicht mit Filterkaffee. Und natürlich mit aufgeschäumter Milch, nicht mit Sahne.”
Ich runzelte die Stirn.
„Was?”, fragte sie verständnislos.
„Wenn du gerade versuchst, dich nicht wie eine verwöhnte Göre zu benehmen, muss ich dir sagen, dass du nicht sehr erfolgreich damit bist. Du bist mehr so eine Diva. Aber ich meine das nicht im positiven Sinne.”
„Oh. Okay. Tut mir leid, aber ich bin noch nicht ganz angekommen.”
„Dann komm erst mal an. Ich meine ja nur. Wir könnten das als Motto für diesen Nachmittag nehmen. Andere Saiten aufziehen. So von wegen Gitarre und nerviges Verhalten und so.”
Ich lächelte, als ich das sagte, und meine Stimme drückte eher Ironie als Abneigung aus.
„Tut mir leid.”
„Kein Thema.”
Die Bedienung brachte den Cappuccino, doch die Tasse stand noch nicht auf dem Tisch, da ging die Szene auch schon weiter:
„Ich glaube, hier ist noch Lippenstift an der Tasse. Könnten Sie mir eine andere bringen?”
Die Kellnerin und ich beugten uns vor, versuchten den Lippenstift auszumachen, sahen aber nur das makellose Weiß des Porzellans.
Ich sah die Kellnerin an und versuchte ihr durch meinen Blick mitzuteilen, dass ich auch keinen Lippenstift erkennen konnte, dass ich mich von dieser Beschwerde distanzierte und dass ich es verstehen könnte, wenn sie ihr den Cappuccino über die Klamotten kippen würde. Ich weiß nicht, ob sie mich verstand, vermutlich machte sie mich zu Joelles Komplizin. Es war mir peinlich.
Ob die Kellnerin meinen Blick verstand, weiß ich nicht, aber Joelle war er nicht entgangen, und so versuchte sie sich zu rechtfertigen:
„Es ist ja nur, wegen dem Herpes. Ich will mir sowas nicht holen, und in Lokalen holt man sich das schnell. Ich bin nämlich So…” und da merkte sie, dass sie auf dem Weg war, Dinge zu sagen, die bei mir nicht so gut ankommen würden. Und so rettete sie sich: „Solo, und da wäre es ja schlecht, sich so einen Herpes zu holen.”
Sie lächelte. Die Kellnerin sah mich kurz an, aber ich konnte ihren Blick nicht deuten. Stattdessen lächelte sie und sagte:
„Kein Problem. Ich bringe Ihnen sofort einen neuen!”
„Vielen, vielen Dank!”
Als die Kellnerin außer Hörweite war, meinte Joelle:
„War ich zu nervig? Du kannst ganz offen sein.”
„Hundertprozentig war das zu nervig!”
Joelle seufzte.
„Ich will nicht so sein. Glaubst du mir das? Ich will nicht nervig oder asozial oder eine Diva sein. Ich finde das auch schrecklich, aber manchmal überkommt mich das einfach so. Kannst du das verstehen?”
„Nein. Ich verstehe das nicht. Ich meine, ich verstehe, dass du keine Diva und nicht nervig und kein Asi sein willst, aber ich verstehe nicht, warum du nicht einfach vorher darüber nachdenkst, ob du vielleicht wie eine asi-nervige Diva rüberkommst, bevor du dann alles tust, um das Bild zu bestätigen.”
„Ja”, meinte sie nur und schwieg für einen Moment. „Es ist nur nicht so einfach mit dem Denken.”
Ich mochte es, wie sie dann doch fähig war, Selbstironie zu verwenden.
„Da sagst du was. Wo du jetzt schon auf dem Weg zur Selbsterkenntnis bist, solltest du dich vielleicht bei der Bedienung entschuldigen.”
„Ich werde ihr ein dickes Trinkgeld geben”, lächelte Joelle, und damit war das Thema für sie durch. Stattdessen legte sie mir die Hand auf den Arm und lehnte sich vor:
„Tut mir echt leid, dass ich dich habe warten lassen. Das war nicht meine Absicht. Aber ich habe dieses Konzert am Wochenende, und da ist eine Passage, die echt frickelig ist, und die habe ich nicht so drin. Schumann, die erste Violinsonate in a-Moll. Kennst du vielleicht.”
Ich schüttelte den Kopf.
„Jedenfalls musste ich das üben.”
„Was für ein Konzert ist das?”
„Am Samstag. Ein Kammerkonzertabend in der Großen Fauna. Nichts Tolles, aber immerhin. Willst du kommen? Ich könnte dir eventuell noch eine Karte besorgen.”
„Vielleicht ein anderes Mal. Ich bin nicht so der Klassik-Fan.”
„Was machst du für Musik? Bitte erzähl!”
Ihre Hand lag immer noch auf meinem Arm, und sie drückte einmal kurz, wie um ihr Interesse zu betonen. Mir schien diese Haltung fremd, sie drückte eine Vertrautheit aus, die wir nicht hatten. So als wären wir schon seit Jahren beste Freundinnen. Aber ich ignorierte es, betrachtete mir ihre kleinen, schmalen und gepflegten Finger und zögerte.
Wenn man erzählt, dass man Musikerin ist, bekommt man häufig eine interessierte Reaktion. Auch wenn man das als Beruf nicht ernst nimmt, und man beginnt die immer gleiche Story herunter zu rattern. Ich war mittlerweile etwas vorsichtig geworden, denn ich wollte andere Menschen auch nicht langweilen mit meiner Geschichte, die ich wenig spannend fand. Aber für viele waren Musiker eben Leute, von denen Geschichten über Exzesse, Stars und Skandale erwartete wurden. Ich gab ihr also die Kurzversion, aber Joelle fragte ständig nach und schien ernsthaft interessiert zu sein an meiner Story.
Und so verging der Nachmittag recht flott, und wir unterhielten uns über unsere sehr unterschiedlichen Musikkarrieren. Ich kam mir wie eine Anfängerin vor in Anbetracht ihrer Erfolge, und ich hatte gar ein schlechtes Gewissen, dass ich noch nie von ihr gehört hatte.
Es war nett, das konnte ich nicht anders sagen. Und mit nett meine ich sehr angenehm.
Manchmal funkelten ihre Augen, wenn sie von ihrer Musik sprach. Ich erinnere mich noch, wie sie davon sprach, wie es sich anfühlt, ein neues Stück zu meistern:
„Du hörst dir das zum ersten Mal an und denkst dir, das schaffe ich nie. Ich habe keine Ahnung, wie man das spielen soll. Aber dann bist du schon niedergeschlagen, bevor du überhaupt erst angefangen hast. Und dann setzt du dich dran und erarbeitest es dir langsam Stück für Stück, und du beginnst ein wenig zu verstehen, und es läuft auch irgendwie, aber dann kommen wieder Phasen, wo alles den Bach runter geht und du dich klein und mies fühlst, weil irgendeine Stelle nicht funktioniert. Dann wirst du depressiv und versuchst und versuchst, aber es klappt nicht mehr. Du lässt es sein und versuchst es am nächsten Tag wieder, und dann läuft es plötzlich, der Knoten platzt und von da an wird es fast einfach. Am Ende hat man es drauf, gerade rechtzeitig. Dann tritt man auf, ist nervös, hat Lampenfieber und malt sich aus, was alles Schreckliches passieren könnte. Aber nichts Schreckliches passiert. Man kommt in diese Zone, in der man plötzlich alles versteht. Die Musik versteht und wie sie gespielt werden muss, wie man sie anfassen muss. Deine Finger und dein ganzer Körper machen plötzlich alles richtig. Man vergisst alles andere. Und wenn man am Ende angekommen ist und der letzte Ton verklungen ist, ist man unendlich traurig, dass dieser Moment nun zu Ende ist. Aber dann setzt der Applaus ein, und man ist versöhnt. Aber nur ein wenig, weil das Publikum nicht verstanden hat, was man gerade erlebt hat. Kennst du dieses Gefühl?”
Ich muss gestehen, ich kannte es nicht. Der Bass ist ein Instrument für eine Band. Man spielt den Bass nicht allein. Es gibt zwar Leute, die Bass-Soli spielen wie Gitarristen es machen, aber das klingt immer wie schlecht masturbiert. Natürlich gibt es großartige Bassisten, die auch Melodien spielen und den Bass aus dem Hintergrund holen, aber die wirklich guten wissen, wo ihr Platz in der Band ist, und der ist immer links oder rechts vom Zentrum. Der Platz des Bassisten ist nicht in der Mitte der Bühne. In der Mitte steht der Sänger und da steht vielleicht auch noch der Lead-Gitarrist. Meiner Meinung nach steht da nicht der Bassist. Der ist im Hintergrund. Der ist wichtig, aber nur wer Ahnung von Musik hat, kann das richtig einordnen.
Wenn man sich die White Stripes anhört, weiß man wie viel so ein Bass ausmacht, denn, egal wie gut die Musik ist, etwas fehlt: Der Bass. Drei Instrumente gehören mindestens in eine Band. Eins davon ist der Bass. Man hat immer eine Band um sich und man spielt mit ihr zusammen. Wenn es läuft, dann klickt man mit dem Schlagzeuger, denn Bass und Schlagzeug sind für den Rhythmus der Band verantwortlich. Gitarre und Gesang für die Melodie.
Aber wenn es auch anders läuft bei unseren Instrumenten, so verstand ich, wie man sich in der Musik verlieren kann, wie alles verschwindet bis auf die Töne, wie man in den Groove kommt und alles passt. Es passiert nicht immer, sogar eher selten.
Aber ich hatte das Gefühl, dass ich sie verstand, dass wir etwas gemeinsam hatten und dass sie im Innersten nicht so sein konnte, wie sie sich nach außen gab.
Überhaupt, während sie so erzählte, zeigte sie keiner dieser Eigenschaften, die mich nervten.
So störte mich bald auch nicht mehr, dass sie immer noch ihre Hand auf meinem Arm hatte und mir immer näher rückte.
Es war unerwartet nett. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht zu arschig. So ist es nicht gemeint. Es war nicht so, dass ich Joelle von Anfang an nicht gemocht hätte, sie war nur, sagen wir, etwas speziell.
Ich erfuhr, dass sie an einem privaten Konservatorium die Violine studierte und unsicher war, ob sie eine Karriere als Violinistin anstreben sollte. Man riet ihr wohl von allen Seiten dazu, aber sie war nicht überzeugt, dass sie das Zeug dazu hatte.
Ich hatte das Gefühl, dass sie noch dabei war, sich zu finden.
Sie zeigte sich von einer ganz anderen Seite. Etwas unsicher, etwas vage. Aber auch interessant. Diese ganze überhebliche Art, dieses Unangenehme, Überhebliche, all das hatte sie abgelegt, wie man einen schweren Schutzanzug ablegt, in dem man sich nur mühsam bewegen kann, in dem man schrecklich schwitzt und der unkomfortabel ist. Und darunter kam eine interessante junge Frau zum Vorschein, die etwas zu sagen hatte, der ich zuhören konnte und die ähnliche Gedanken zur Musik hatte wie ich.
Wir waren keine Freunde geworden an diesem Nachmittag, aber sie war menschlicher geworden. Sie entstammte einer musikalischen Welt, in der vieles anders zu sein schien als in meiner. Wir fanden Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede in unserer Musik. Joelle brachte es ganz nett auf den Punkt, als sie bemerkte, dass unsere Instrumente in den vier gleichen Noten gestimmt waren, nur jeweils umgekehrt. Mein Bass war auf die Saiten E-A-D-G gestimmt, ihre Violine auf G-D-A-E. Ich hatte das nicht gewusst, es bedeutete nicht viel, aber ich fand es interessant. Joelle wusste eine Menge mehr über Musik, vor allem über die Theorie, als ich. Ich konnte gut damit leben. Ich wusste, welche Noten gut zueinander passten. Sie konnte auch noch erklären, warum das so war. Es wäre einfach gewesen, zu behaupten, dass sie das theoretische Wissen hatte und ich die Intuition. Aber Joelle war nicht nur die kalte Theoretikerin, sie war einfach umfassender geschult in der Musik als ich. Sie war besser, viel besser als ich. Ich hatte damit kein Problem.
Aber machen wir uns nichts vor, am meisten mochte ich, wie sie mir schmeichelte, wie sie sich um mich bemühte, mit mir flirtete. Ihre Hand auf meiner, wie sie ihren Kopf leicht schräg hielt, lächelte, sich mit den Fingern durch die Haare fuhr. Es war alles so eindeutig, wie sie sich für mich interessierte. Das schmeichelte mir. Es war eine Weile her, dass meine letzte Beziehung zu Ende gegangen war, und die war nicht so toll gewesen, dass ich mich sofort nach etwas Neuem gesehnt hätte. Doch wie sie nun ihre ganzen Signale setzte, ihr Interesse an mir zum Ausdruck brachte und um mich herumschlich, das mochte ich. Es war schon etwas her, seit sich das letzte Mal jemand um mich bemüht hatte.
Als sie noch einmal ihre Hand auf meine legte, mir tief in die Augen sah und mich fragte, ob sie mich wiedersehen dürfe, da fand ich das eine gute Idee.
Fairerweise muss ich sagen, dass ich mir noch kein Urteil gebildet hatte, was ich von Joelle selbst hielt. Ich war vorsichtig, denn so angenehm sie sich an diesem Nachmittag auch gab, als wir zahlten, zeigte sie wieder ihre unangenehme Seite.
Schon wie sie der Kellnerin winkte, fiel mir negativ auf. Sie würdigte der Bedienung keines Blickes, rief lediglich „zahlen” in den Raum und schwenkte ungeduldig mit dem Arm. Als die Frau dann an den Tisch trat, sah Joelle diese nicht einmal an, kramte nur in ihrer Geldbörse und warf einen Zwanziger auf den Tisch. Das war zugegebener Maßen ein üppiges Trinkgeld, aber mir widerstrebte diese Art, sich die Zuneigung von Menschen, mit Geld zu erkaufen.
Die Kellnerin ließ sich nichts anmerken, blieb professionell, aber ich musste was unternehmen, weil ich diese Art, mit Menschen umzugehen, nicht ausstehen konnte. Ich war selbst schon so behandelt worden und hasste das. Überhaupt fand ich es ärgerlich, dass sie so schnell verschiedene Seiten von sich zeigte. Mir gegenüber war sie aufmerksam und liebevoll, anderen gegenüber aber zeigte sie diese kalte und gleichgültige Art. Es gab ihren Handlungen etwas Unaufrichtiges, Manipulierendes. Das mochte ich nicht.
Dieses Mal legte ich meine Hand auf ihren Arm, bat die Kellnerin mit einem knappen „Entschuldigung” zurück an den Tisch und sagte zu ihr:
„Tut mir leid, Sie noch einmal zu stören, aber meine Freundin wollte Ihnen noch etwas sagen. Wegen eben… der Sache mit dem Lippenstift.”
Joelle sah mich fragend an. Ich drückte meine Fingernägel zur Bekräftigung tief in ihren Arm und sah sie eindringlich an. Es sollte ein Zeichen sein, dass sie, wenn sie mich wiedersehen wollte, sich jetzt besser benahm. Vielleicht war das etwas weit hergeholt. Konnte sie verstehen, dass ich eine Entschuldigung von ihr erwartete und diese von einem weiteren Treffen abhängig machte?
Sie schwieg einen Augenblick. Es war ihr sichtlich unangenehm, was ich von ihr erwartete, und sie kämpfte mit sich und ihrem Stolz. Ich hatte das Gefühl, dass sie nicht nachgeben würde, dass sie lieber auf ein weiteres Treffen mit mir verzichtete, als sich zu einer Entschuldigung herabzulassen. Aber dann senkte sie doch den Blick und begann mit einem kleinen Kloß im Hals zu reden, und sie entschuldigte sich wirklich und wie gefordert für ihr barsches Verhalten.
Innerlich schmunzelte ich. Es bereitete mir ein kleines Wenig Genugtuung, wie sie da auf ihrem Stuhl hin und her rutschte und schließlich eine Entschuldigung herauspresste. Es war süß, wie sie die Kellnerin für ihr Verhalten um Vergebung bat.
Immer wieder schweifte Joelles blick bei ihrem erstaunlich demütig vorgetragenen Vortrag zu mir, und sie schaute mir tief in die Augen, als würde sie sich mehr bei mir entschuldigen als bei der Bedienung.
Die Kellnerin spielte das Ganze höflich herunter, meinte, es sei ja alles kein Problem gewesen und sie sei Schlimmeres gewohnt. Ich fuhr meine Krallen wieder ein, nahm sie von Joelles Handgelenk und tätschelte sie noch einmal, wie man ein kleines Kind belohnt, das seine Sache gut gemacht hat.
Joelle sah mich an, als sie den Arm hob. Die Abdrücke meiner Fingernägel waren noch schwach zu erkennen.
Als wir das Café verließen, ging sie hinter mir und schien immer noch recht beschämt, was mich schon ein wenig wunderte. Warum sollte sie diese kleine Sache so bewegen?
Aber auch ich musste an diesem Tag noch einige Male an unser Gespräch und diese kleine Szene am Ende denken. Ich fragte mich, ob ich nicht vielleicht diejenige war, die zu weit gegangen war.
Viel später erklärte Joelle mir, dass dieses kleine Spielchen für sie der Moment war, an dem sie wusste, dass wir beide füreinander geschaffen waren.
Kapitel 5
Joelle hatte gesagt, dass sie mich wiedersehen wollte, und ich hatte nichts dagegen. Sie meldete sich zu meiner Überraschung aber schon zwei Tage später. Das ging ziemlich schnell, aber ich hatte nichts dagegen. Ihr Vorschlag war ein Picknick zu veranstalten. Sie würde sich um alles kümmern, meinte sie, und auch dagegen hatte ich nichts. Ich ließ mich überraschen.
Wir verabredeten uns, und sie fuhr in einem New Beetle Cabrio vor. Typisch, dachte ich mir: Das Auto für reiche Töchter.
Aber ich sagte nichts, wollte auch nicht die Spielverderberin sein, die an allem was auszusetzen hatte. Daher ersparte ich mir einen Kommentar. Ich musste ein wenig aufpassen. Am Vormittag hatte ich Zoff gehabt wegen eines anstehenden Gigs, der doch nicht so ablaufen sollte, wie es geplant gewesen war, und wenn ich schlecht gelaunt war, ließ ich das schnell an anderen aus. Aber Joelle hatte natürlich keinen Grund, unter meinen Launen zu leiden. Da ich ihr das Leben auch nicht schwerer machen wollte, als es ohnehin schon war, blieb ich zunächst einsilbig.
Ich versuchte, die Sonne auf meiner Haut zu genießen, während sie aus der Stadt fuhr. Aus ihrer Stereoanlage erklang Depeche Mode. Nicht unbedingt meine Lieblingsmusik, aber immerhin besser als das Violinkonzert in D-Moll und gepuderter Perücke. Klassische Musik war nicht mein Ding und überkandidelten Operngesang hätte ich auch nicht gut ertragen können.
Joelle hingegen war gut gelaunt. Sie erzählte mir, dass sie in jeder freien Minute auf ihrer Gitarre übe, welche Fortschritte sie machte und wo sie Schwierigkeiten hatte.
Ich hörte ihr zu, gab hier und da eher einsilbig einen Kommentar ab, aber in Gedanken hing ich immer noch bei dem Veranstalter, der mir so doof gekommen war.
Wir fuhren noch eine Weile, dann bog sie von der Landstraße ab auf eine kleine, holprige Straße und von da noch einmal auf einen Feldweg, der sich sanft entlang einiger Hügel schlängelte. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren. Irgendwo im Grünen. Ich konnte jedenfalls weit und breit keine Ortschaft, kein Dorf, kein Haus erkennen. Nur Grün und ein paar Hügel.
Joelle erzählte derweil von ihrem Tag und allerlei anderem. Ihr Schwall an Worten ließ mich langsam meinen Groll vergessen.
Schließlich hielt sie den Wagen an. Wir waren mitten im Grünen.
Ich sah sie fragend an, und Joelle sagte fast entschuldigend:
„Das ist ein Grundstück, das mein Vater mal irgendwann gekauft hat. Er wollte hier was bauen, aber irgendwie hat es bis jetzt dann doch noch nicht geklappt.”
„Und warum gerade hier?”
Sie war bereits ausgestiegen und hatte einen Picknick-Korb vom Rücksitz genommen.
„Ich zeig’s dir.”
Ich folgte Joelle, als sie über die Reste eines verrosteten Stacheldrahtzauns stieg.
Es war mühsam, sich durch das Unkraut zu kämpfen, und ich wünschte mir, ich hätte keine Shorts, sondern eine lange Hose angezogen.
Wir kämpften uns ein paar Meter einen Hügel hoch. Als wir oben angekommen waren, eröffnete sich uns ein Ausblick auf einen Teich mit einem kleinen Wäldchen dahinter. Es war ziemlich idyllisch.
„Wow! Dein Vater hat Geschmack. Nettes Plätzchen!”
„Mmh!”, stimmte sie knapp zu, als wäre ihr das etwas peinlich.
„Warum so bescheiden?”
„Naja, was soll ich sagen. Er wollte hier ein Häuschen fürs Wochenende hinsetzen. Das wäre schon ziemlich dekadent geworden.”
Da hatte sie Recht.
„Ich kenne eine nette Stelle am Ufer.”
Joelle ging durch das hohe Gras den Hügel hinunter, und ich folgte ihr vorsichtig ans Ufer.
„Ich komme manchmal hierher, wenn ich allein sein will”, erzählte sie. „Das ist quasi mein geheimer Ort.”
„Jetzt ist er aber nicht mehr geheim.”
„Meinst du wirklich, du würdest allein wieder hierher finden?”
Vermutlich nicht, da hatte sie Recht.
„Das scheint ja eine ziemliche Ehre zu sein, wenn du mir dein Geheimnis zeigst.”
„Kann man wohl sagen!”
Joelle stellte den Korb ab, holte eine kleine Decke heraus und entfaltete sie auf dem Boden.
„Komm hier auf die Decke.”
Es war eine verdammt kleine Decke, die sie da eingepackt hatte, aber wenn ich nicht im Unkraut sitzen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, also setzte ich mich zu ihr und genoss stumm die Aussicht auf den Teich.
„Du bist so still, die ganze Zeit schon. Stimmt irgendwas nicht?”
„Stress mit einem Veranstalter.”
Sie setzte sich neben mich und kramte in ihrem Korb.
„Möchtest du erzählen?”
Ich zögerte und seufzte. Der Ort war eigentlich zu schön für meine schlechte Stimmung.
„Wir machen es so: Du erzählst mir alles, und ich kümmere mich darum, dass es dir an nichts fehlt. Was sagst du dazu? Ist das ein Angebot?”
Ich sah sie an. Diese hilfsbereite Art war mir reichlich fremd. So kannte ich sie gar nicht.
Sie erkannte meine Zweifel wohl und meinte:
„Lass mich dir zeigen, dass ich nicht nur ein egoistisches Miststück bin, auch wenn du das vielleicht von mir glauben solltest.”
Ich warf ihr einen Blick zu, aber sie lächelte nur:
„Sollte jetzt keine Provokation sein. Mir ist schon klar, dass ich manchmal nicht einfach bin. Ich versuche echt daran zu arbeiten. Vielleicht kannst du mir ja sogar dabei helfen. Aber nicht jetzt. Jetzt dreht sich alles um dich. Was sagst du?”
Ich nickte vorsichtig, und sofort hellte sich ihre Miene auf.
„Supi! O-Saft oder vielleicht sogar ein Piccolöschen?”
„Viel Sekt, wenig Saft.”
„Kommt sofort!”
Sie kramte zwei Sektgläser aus ihrem Korb hervor und mixte unsere Getränke.
„Was ist mit deinem Veranstalter?”
Ich zögerte. Sollte ich mich wirklich darüber aufregen, sollte ich wirklich darüber jammern?
„Komm schon, erzähl. Du willst es doch auch!”
Sie lachte.
„Es ist keine große Sache. Meine Band hat vor einiger Zeit einen Gig gelandet bei diesem kleinen Festival. Relativ klein, aber doch mit ziemlich viel Publikum für unsere Verhältnisse. Wir sollten sowas wie Headliner sein, also als Letztes spielen.”
Sie reichte mir den Sekt, wir stießen an, wobei ich „Prost” und sie „cin cin” sagte. Wir sahen uns an und lachten. Kulturelle Unterschiede halt.
„Naja, ziemlich kurzfristig waren wir dann doch nicht mehr Headliner, sondern sie hatten noch eine bekanntere Band gefunden, also rutschten wir nach hinten, und heute Morgen haben wir erfahren, dass jetzt noch eine andere Band vor uns spielen soll. Wir sind also noch weiter nach hinten gerutscht, und außerdem soll es jetzt auch noch weniger Geld geben, weil halt das Budget jetzt auf mehr Bands aufgeteilt werden muss oder so.”
„Das ist Mist.”
„Das kannst du laut sagen. Sowas passiert ständig. Musiker sind einfach der letzte Dreck, und alle wissen, dass wir auf die Auftritte angewiesen sind. Ich würde denen ja am liebsten sagen, wohin sie ihr Festival stecken können, aber wir brauchen den Auftritt und die Knete. Wir wollen nur nicht gerne so behandelt werden!”
„Ist schon komisch, ich kann die gleiche Story erzählen. In der klassischen Musik ist es kein Bisschen anders!”
Und dann erzählte sie mir von diesem Kammermusikabend, an dem sie spielen sollte, weil der große Star ausgefallen war, und als Joelle alle ihre Termine umgelegt hatte, um diesem Wunsch gerecht zu werden, änderte sich wieder alles, als der Star es dann doch einrichten konnte und Joelles Auftritt wieder gecancelt wurde.
Ich war also nicht allein, sie hatte ähnliche Erfahrungen gemacht und hasste es genau wie ich.
Sie erzählte mir, wie enttäuscht sie sich gefühlt hatte, und weil ihre Erfahrungen weiter zurück lagen, konnte sie bereits darüber lachen. Wie sie ihre Story erzählte, musste ich akzeptieren, dass meine Geschichte auch nicht schlimmer war, dass ihre sogar tragischer war. Wenn sie also darüber lachen konnte, dann musste ich das wohl auch können.
Und irgendwie war es ja auch albern, sich darüber lange aufzuregen. Es war eine Kleinigkeit.
Stattdessen wurde mir wieder bewusst, dass wir doch einiges gemein hatten, auch wenn sie sich in einer anderen Ecke der Musikwelt aufhielt.
Sie packte aus ihrem Korb allerlei Köstlichkeiten, Kanapees, Häppchen, Tapas, wie immer man dieses Fingerfood nennen mochte. Es war lecker, das musste ich ihr lassen, wenn ich auch selten so etwas aß und sie sich ganz offensichtlich auskannte. Sie erzählte mir, wo sie die Sachen herhatte, aber ich musste gestehen, was für sie Allgemeinwissen zu sein schien, war mir vollkommen unbekannt. Ich hatte jedenfalls von den Feinkostläden und Geheimtipps noch nie gehört, die sie angesteuert hatte, um das alles zu besorgen. Sie war stolz auf sich, und ich gab zu, dass es sehr lecker war. Auch wenn es ein wenig Perlen vor die Säue waren, denn mit einem Döner hätte sie mich auch beeindrucken können. Aber ich wusste es zu schätzen, dass sie sich Mühe gab.
Wir aßen und quatschten über Essen und Musik, waren mal näher- bei und dann weiter voneinander entfernt, aber es war immer nett, immer angenehm und freundlich.
Joelle spielte die Gastgeberin, und wieder kam nichts Unangenehmes von ihr.
Schließlich lagen wir ganz nah nebeneinander auf der Decke und schauten in die Wolken, die langsam vorbei zogen. Joelles Arm berührte meinen.
Die noch frühlingshafte Sonne war stark genug, uns ein wenig zu wärmen, und während eine große weiße Wolke vorbeizog, erzählte sie mir, wie schön sie das hier alles fand. Ich ließ es geschehen, als sie ihre Hand in meine legte. Wir atmeten einfach nebeneinander.
Ich musste weggedöst sein, doch als ich ihren Atem auf meiner Wange spürte, wachte ich auf. Ich roch den süßen Duft des Orangensafts in ihrem Atem und darunter ganz leicht die Säure des Sekts.
„Darf ich dich anfassen?”, hauchte sie ganz sanft in mein Ohr. „Darf ich dich küssen?” Ihr Atem kitzelte mich. „Bitte. Bitte. Bitte.”
Es kam nicht unerwartet. Die Stimmung war den ganzen Tag über schon da gewesen. Sie hatte das alles geplant. Sie hatte mich hierhingebracht für den ersten Kuss.
Ich genoss den Augenblick und zögerte das Unvermeidbare heraus.
Ich lag dort mit geschlossenen Augen und hörte ihr Flehen.
„Bitte. Bitte. Bitte.”
Mein Herz schlug schneller, und ich hatte Mühe, mich zu beherrschen und cool zu bleiben. Aber ich wollte sie ein wenig hinhalten. Das verwöhnte Mädchen, das gewohnt war, alles zu bekommen, sollte mich nicht so einfach kriegen.
Aber es gelang mir nicht lange.
Sie machte das gut, sie machte das sehr gut. Lange konnte ich ihrem Flüstern nicht widerstehen.
„Darf ich dich küssen? Darf ich dich anfassen?”
Ich nickte: „Ja!”
„Erlaube es mir!”, hauchte sie. „Gib mir die Erlaubnis!”
Nichts als ihr Atem hatte mich bislang berührt. Sie hielt mich hin, und auf der anderen Seite bat sie um meine Zustimmung.
„Ich erlaube dir hiermit, mich zu küssen!”, brachte sie so feierlich hervor, wie meine Erregung es zuließ.
Augenblicklich berührten ihre weichen, feuchten Lippen meine.
Ich spürte ihren Kuss, der so bemüht war, mich zufrieden zu stellen.
Ihre Lippen waren warm und schmeckten so süß und ungewohnt.
Ich genoss es.
Zart, ganz zart, sie ließ sich Zeit, und ich kochte innerlich, wie sie für nur wenige Augenblicke meine Lippen berührte, mit ihrer Zunge in meinen Mund eindrang, um sich dann wieder zurückzuziehen. Sie machte mich mit dieser langsamen Art wahnsinnig.
Sie schenkte mir immer nur ein wenig von sich, hielt den Rest zurück, behielt ihn für sich.
Hatte ich nicht mehr verdient?
In mir brodelte es. Mehr und mehr. Ich wollte und konnte das nicht mehr ertragen.
Schließlich stöhnte ich auf, vielleicht war es auch mehr ein a****lisches Grunzen, und dann packte ich sie und presste meine Lippen auf ihre. Ein bisschen zu roh, etwas zu grob. Ich drückte ihren Körper an meinen. Wo sie federleicht in ihren Bewegungen gewesen war, schlug ich wie mit einem Hammer. Wo sie kurvig und verspielt gewesen war, ging ich geradewegs zur Sache.
Ich zeigte ihr, wie man es macht, wie man küsst, wie man es aus sich heraus lässt.
Hatte sie noch um Erlaubnis gefragt, nahm ich mir einfach, was ich wollte.
All ihre Bewegungen waren überlegt und kontrolliert gewesen, aber ich griff wahllos zu, berührte, wonach mir gerade war.
Meine Hände strichen über ihren ganzen Körper. Wahllos, ungezügelt.
Als hätte sie ein Tier in mir entfesselt. Ich konnte nichts dagegen unternehmen, es überwältigte mich, und wir gaben uns hin, wälzten uns in einem Kuss, den ich bestimmt hatte. Sie wusste, wie sie mit mir spielen musste und ließ es zu, dass ich sie auszog.
Später lagen wir still nebeneinander.
Ich hörte ihren Atem neben mir. Sie war in Gedanken versunken, und auch ich driftete wieder in meine Welt.
Ich war überrascht von der Wucht, ein wenig verängstigt sogar über das, was da gerade passiert war. Es war mir nicht klar gewesen, wie sehr ich sie wollte.
Ich hatte mich gehen lassen, hatte alle Zügel